Zwanzig Jahre sind seit der
Erstveröffentlichung von „GO! Die Ökodiktatur" vergangen. Dass
der Verlag p.machinery das Buch noch einmal auflegt, zeugt von
Realitätssinn. Nicht schlecht für einen Science-Fiction-Verlag. Übrigens wird der Roman, nachdem es bereits in der Türkei erschienen ist, in Kürze auch in Vietnam erscheinen. Inzwischen hat sich
das Klima auf der Erde nämlich erheblich verschlechtert, sowohl ökologisch als auch sozial. Unsere Zivilisation betreibt einen Weltkrieg gegen die Natur, der unmittelbar und unbestritten in den
Ökozid führt. Dennoch wollen Wirtschaft und Politik von ihrer vernichtenden Wachstumsideologie nicht lassen. Der Drops, so scheint es, ist
gelutscht. Der Meinung ist auch das US-amerikanische Energieministerium, das den Kampf gegen den Klimawandel vor kurzem für verloren erklärte. Vielleicht ist dies der Grund, warum die Schweinerei
auf den letzten Drücker unbeirrt, aber gewinnbringend weiter betrieben wird.
Das Verrückte dabei ist, dass wir Wälder vernichten, Flüsse kaputt machen, Arten auslöschen und die Erde unbewohnbar machen können, ohne dabei ein einziges Gesetz zu brechen. Es ist zwar
kriminell, jemanden die Handtasche zu klauen oder einen Joint zu rauchen, aber es ist völlig legal, den Planeten zu zerstören. Unsere gesamte Kultur ist auf der Vermeidung von Verantwortung
gegründet – von oben nach unten, von innen nach außen, individuell und gesellschaftlich. Die Zivilisation, das wird jetzt, da es an unser aller Lebensgrundlagen geht, immer mehr Menschen bewusst,
ist ein barbarisches System, das ausschließlich dem Geld folgt und nichts, aber rein gar nichts mit ethischen Grundsätzen zu tun hat.
Die Psychologie hat angesichts der Ratlosigkeit, in der sich die Menschheit zur Zeit befindet, den Begriff der kognitiven Dissonanz geprägt. Wir sehen uns einem Übermaß an Problemen gegenüber,
während wir gleichzeitig glauben, dass es dafür keine Lösungsmöglichkeiten gibt. Kognitive Dissonanz. Ein unangenehmes Gefühl. Vor allem, wenn es
sich wie ein schleichendes Gift in die Gesellschaft frisst. Um dieses Gefühl abzumildern, um an ihm also nicht verrückt zu werden, bleibt uns eigentlich nur eines: die Probleme in ein „besseres“
Licht zu rücken. Also verharmlosen, vertuschen und verdrängen wir wie die Teufel, darin sind wir wirklich brillant.
Wir Menschen haben Jahrhunderte lang in unser Wohnzimmer uriniert. Anstatt aber unsere Lebensweise zu hinterfragen, diskutierten wir lieber über die Saugfähigkeit des Teppichs. Erst jetzt, da der
Sättigungsgrad des Teppichs erreicht ist, beginnen wir allmählich aufzuwachen. Dabei hätte es nicht zwangsläufig so weit kommen müssen. Wir hatten unsere Chance, wir hatten sie immer. Wir konnten
sie nur nicht nutzen, weil wir als politisches Gemeinwesen keine Idee besaßen, was und wer wir eigentlich sein wollten jenseits unseres immer kümmerlicher werdenden Konsumentendaseins im
Scheinpluralismus weniger Konzerne.
Eigentlich wissen wir es immer noch nicht. Deshalb glauben wir, dass die Lösung unserer Probleme ein Fall für die Wissenschaft geworden ist. Unsere Hoffnungen ruhen auf neuen Wissenschaftszweigen
wie der Bionik, dem Geo-Engineering oder der Evolutionstechnik, wir träumen von
molekularer Selbstorganisation und versuchen uns an der Züchtung von Stopfkrebsen zum Abdichten unserer Deiche. Wir hören von lernfähigen neuronalen Netzen und einer neuen Computer-Architektur,
in der Hardware und Software zu einer Persönlichkeit verschmelzen. Aber verstehen tun wir nichts von alledem. Und wie immer, wenn wir nichts verstehen, wird es auch diesmal schief gehen. Mit
allem, was wir Menschen bisher angefangen haben, sind wir nämlich in die Absurdität des Gegenteils geraten. Mit dem Versuch, die Äcker fruchtbarer zu machen, haben wir sie zu Tode gefoltert. Mit
dem Versuch, uns vor Feinden zu schützen, sind wir so nahe wie möglich an den großen Weltbrand geraten. Selbst der Versuch zu heilen und zu helfen geriet immer mehr an die Grenzen der
Unmenschlichkeit.
Der polnische Philosoph und Science-Fiction-Autor Stanislav Lem (Solaris) hat es folgendermaßen ausgedrückt: „Die
Zivilisation ist ein Schiff, das ohne Pläne gebaut wurde und nun führerlos dahin schlingert. Es fehlt ihr ganz einfach an spiritueller Verbundenheit, damit sie einen Kurs hätte wählen können, der
eben nicht in die Katastrophe mündet.“
Unsere Aussichten sind alles andere als rosig. Wie es scheint, stellen die Meere und Wälder ihre globalen Dienstleistungen, die bislang jedem Menschen zugute kamen, demnächst ein. Damit würde der
Klimastress zum Dauerzustand werden. Und wie es um das kapitalistische Wirtschaftssystem bestellt ist, brauche ich niemandem zu erklären. Schon jetzt fühlen sich Milliarden Menschen rund um den
Globus betrogen und verarscht, sie sind frustriert, ausgebrannt und ohne Hoffnung.
Vermutlich braucht es den drohenden Megaschock, um eine wirkliche Bewusstseinsänderung herbei zu führen. In den Herzen der Menschen sitzen nicht nur Wut und Enttäuschung, es wächst in ihnen auch
etwas heran, was von unschätzbarem Wert ist: die Sehnsucht nach einer besseren Welt! Diese Sehnsucht ist schon heute mit Händen zu greifen und zwar überall auf der Erde. Die Menschen haben die
Seele der Gier-Kultur endgültig satt. Deshalb ist es wichtig, ihnen eine Perspektive zu bieten. Sie müssen wissen, dass es genügend gesunde Alternativen gibt, um sich aus den Fängen einer
erbarmungslosen Wachstumsgesellschaft zu befreien. Sobald sie verstehen, dass es ohne weiteres möglich ist, sich gegenüber den Kapitalinteressen zu emanzipieren, dass es möglich ist, eine
Gemeinschaft nach eigenen Vorstellungen aufzubauen, um wieder in den Genuss von Kommunikation und Mitmenschlichkeit zu kommen, werden sie auch den Mut finden, etwas Neues zu wagen. Diese
Neuorientierung wird nicht gradlinig verlaufen und viele Irritationen mit sich bringen, aber sie wird den Menschen von Anfang an und bei jedem Schritt etwas zurückgeben, was ihnen solange gefehlt
hat: Lebensfreude.
Ich mag gar nicht daran denken, was an
kreativen Kräften alles frei gesetzt wird, wenn sich die Gemeinschaften auf regionaler Ebene neu organisieren. Wenn immer mehr Menschen verstehen, dass es allemal besser ist, mit der Natur als
gegen sie zu leben. Wenn wieder natürliche Kreisläufe in Gang gesetzt werden und eine nachhaltige Wirtschaftsordnung entsteht, wenn Strom zu hundert Prozent aus regenerativen Energien gewonnen
wird, wenn eine neue Geld- und Bodenordnung vor Spekulanten und Übervorteilung schützt, wenn ein transparentes und gerechtes Steuersystem allein der Zukunftssicherung verpflichtet ist, weil die
Bemessungsgrundlagen nicht mehr am Umsatz, Verdienst und Gewinn orientiert sind sondern am Verbrauch. Eine Rohstoff- und Energiesteuer zum Beispiel würde den Ressourcenverbrauch auf ein
erträgliches Maß senken.
Ich könnte hunderte von Alternativen nennen, für jeden Lebensbereich gleich mehrere. Sie sind bereits vorhanden. Erforscht und erprobt. Ob es sich um alternative Antriebe oder um gesunde Nahrung
handelt, um Vorschläge für ein zukunftsfähiges Krankenversicherungssystem
Der Mensch ist schlau, er hat immer Auswege gefunden, wenn es zur Krise kam. Aber nie zuvor in seiner Geschichte ist seinem Erfindungsreichtum ein solcher Riegel vorgeschoben worden, wie zu
Zeiten der kapitalen Gier. Kaum zu glauben aber wahr: Das Profitinteresse einer kriminellen Finanz- und Wirtschaftselite hat in den letzten Jahrzehnten jede vernünftige Problemlösung im Ansatz
erstickt. Jetzt haben sie den Salat, jetzt doktern sie hysterisch an den Symptomen herum. Dabei verkennen sie eines: sie haben es nicht mit einem Fehler im System zu tun, ihr ganzes verdammte
System ist ein Fehler!
Der Umbau unserer globalen Konsumkultur wird das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Menschheit sein. Diese Aufgabe können wir aber nur lösen, wenn wir uns als politisches Gemeinwesen
verstehen. Weltweit. Aber angehen müssen wir diese Aufgabe. Sonst landen wir unweigerlich da, wo wir nicht hinwollen: in einer Ökodiktatur. Wie sich das anfühlt, wie das schmeckt – genau das habe
ich versucht mir vorzustellen. Dass die äußeren Umstände, wie sie im Buch beschrieben werden, inzwischen nahe an die Wirklichkeit gerückt sind, ist allerdings kein Grund für übertrieben
Optimismus.
Ich bin nicht sicher, wie sich die Dinge entwickeln werden, deshalb schließe ich mit einem Satz der wunderbaren Friedensnobelpreisträgerin
Dirk C. Fleck, im Dezember 2013
Laudatio Literaturpreis 1984 GO! Die Ökodiktatur
GO! Die Ökodiktatur hier als Hörbuch downloaden
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